KURZINFOS ZUM METHADON


Abschnitte:  2, 3. 4, 5

KURZINFOS ZUM METHADON
Opiat? Opioide? oder gar beides?

Methadon, in der Schweiz von den Konsumenten je nach Standpunkt mehr oder weniger liebevoll kurz „Methi“ genannt (somit kennt man uns hier als  „Methigruppe“), ist ein vollsynthetisches  Opioid, das 1939 von der Firma Hoechst als Schmerzmittel entwickelt wurde und heute das Mittel der Wahl bei der Heroinsubstitution ist. Die Droge ist von der chemischen Struktur her ein Dimethylamino-diphenyl-heptanon und ist die Stammsubstanz der Methadonreihe, d.h. es gibt noch andere „Methadone“ als das in der Schweiz verwendete. Sie haben aber alle eine sehr ähnliche Wirkung und unterscheiden sich lediglich in ihrer Potenz und ihrer Wirkungsdauer: so wirkt das vor allem in Deutschland verbreitete (linksdrehende) „Polamidon“ doppelt so stark wie unser Methi, und die Medizin kennt auch ultralang wirkende Methiformen wie LAMM, das für Levo-alpha-acetylmethadol steht (wirkt rund 48 Stunden). Methadon hat die charakteristischen Merkmale aller ursprünglich mit Opium verwandten Narkotika: Es kann zu Gewöhnung – Sucht führen und bei zu hoher Dosierung zum  Tod durch Atemlähmung. Bereits die Erhaltungsdosis eines mitteldosierten Methadonsubstituierten kann leicht bei einem No-User den Exitus verursachen… Ferner ist Methadon natürlich ebenfalls ein potentes Schmerzmittel, wobei dieser Aspekt auf unserer Homepage kein zentrales Thema ist.

Selbstverständlich untersteht Methadon gemäss einem auch von der Schweiz ratifiziertem Abkommen mit der UNO weltweit den Betäubungsmittelgesetzen (bei uns kurz: BetMG), und das bringt es mit sich, dass man ohne die nötigen Bewilligungen für die mit Orangensaft gestreckte Lösung oder die auf der Gasse immer wieder auftauchenden 5-mg-Tabletten vor dem Kadi und gegebenenfalls auch in den Knast wandern kann. Deshalb sollte sich ein Methadonkonsument bei jeder Auslandreise dringend schlau machen, wie sich die drogenpolitische Lage im Zielland präsentiert. Eine Hilfe für EU-Länder bietet da die „European Legal Database On Drugs“ (kann über www.archido.de abgefragt werden). Schwierig kann es bei Reisen in arabische und asiatische Länder werden und Leichtsinn kann dich dort – traurig aber wahr – sprichwörtlich den Kopf kosten. Man denke nur an Singapur oder Saudi Arabien. Bizarre Regeln befolgen auch die arabischen Emirate. Da jettete doch im März 2005 eine 42jährigeBritin, angetörnt von etwas Codein, in Dubai Airport ein. Nachdem die misstrauischen gewordenen Zöllner  keine anrüchigen Substanzen oder Pillen in ihrem Gepäck fanden, wurde sie kurzerhand zu einem Urintest gezwungen. Und – jetzt kommt’s – das in ihrem Blut nachgewiesene Codein reichte aus, um die bedauernswerte Lady zu 4 Jahren Knast zu verurteilen (und ähnliche Fälle findet man beim Studium von www.gulfnews.com nachzulesen.)

HISTORISCHER ABRISS – DER VERSUCH EINER ANNÄHERUNG ODER DIE MÄR VON „ADOLFIN“:

Die Geschichte von Methadon ist ebenso lang wie Mythen beladen. Viele so genannte „Fakten“ werden  wenig oder nicht hintergefragt durch die Literatur gereicht. Einige sind schlicht falsch und entstammen schlussendlich einer ur-antiliberalen Politik, die tendenziell darauf zielt, missliebige Substanzen mit Negativbildern (Tod, Kriminalität, dubiosen Figuren der Weltgeschichte usw) zu belasten, um sie somit in Verruf zu bringen. Dass man bei akribischer Suche immer fündig wird, wird jedem klar sein. Das machten uns in der näheren und weiteren Vergangenheit  „Der Spiegel“ und anderer Massenmedien bei Bedarf immer wieder mal vor.

Doch zurück zum Ausgangthema: Methadon ist das (vorläufige?) Ende einer Forschungslinie die Ende des 19. Jahrhunderts in den Farbwerken Hoechst in Deutschland begann. Ziel war die Entwicklung neuer Schmerzmittel. Ein erster Durchbruch gelang den Forschern 1937 mit der Entwicklung von Pethidin, das kurz später  als „Dolantin“ in den Handel kam und bis heute in der Schmerzbekämpfung unter den verschiedensten Namen im Einsatz steht (Drogenkonsumenten konnten mit der Substanz nie viel anfangen). Im Verlauf weiterer Forschung entdeckten Bockmühl und Ehrhart 1939 unter der Synthesenummer Va  10820 auch das 2-Dimethylamino-4,4-diphenylheptanon-(5), das Jahre später als „Methadon“ seinen Siegeszug antrat.

Natürlich muss die Entwicklung neuer Schmerzmittel auch im geschichtlichen Kontext gesehen werden. 1936 hatte Adolf Hitler einen Vierjahresplan in Kraft gesetzt, der das Land auch von ausländischen Opiumlieferungen, die der Morphinherstellung dienten, unabhängig machen wollte. Die Entwicklung von Methadon war in dieser Hinsicht nur eine beschleunigte Konsequenz einer Entwicklung, die schon vor der Machtergreifung Hitlers eingesetzt hatte. Allerdings ist es durchaus anzunehmen, dass Hitler nicht nur von alles entscheidenden „Wunderwaffen“, sondern auch – gerecht  seiner arisch-faschistischer Ideologie – von „Wunderdrogen“ träumte, die den Deutschen zur nahezu unverwundbaren, schmerzfreien, heldenhaften Kampfmaschine machen würden.  Mit diesen Träumen steht Hitler übrigens in der Weltgeschichte nicht einzig dar. Von der Antike bis heute sind  immer wieder Ansätze düsterer Potentaten zu erkennen, sich mit Drogen auf dem Schlachtfeld Vorteile zu verschaffen, und die damit einen legalen Drogenmissbrauch der schlimmsten Art institutionalisierten. Man denke nur an Marco Polos Schilderung der (H)Assasins oder an die mit Benzedrin gefütterte US-Kampfjet-Piloten im Irak (keine Verschwörungstheorie, sondern ein von der US Army nach Mediendruck frappant offenherzig bestätigter Fact).

Während es als gesichert scheint, dass Va 10820 1939 erstmals synthetisiert wurde, weiss man nicht genau, wann sein spasmolytisches und schmerzlinderndes Potential erstmals erkannt wurde (auch die  Patentschriften geben dabei keinen klaren Aufschluss). Denn (leider) lassen sich bekanntlich anhand einer Strukturformel die Eigenschaften einer Substanz allenfalls erraten, oft aber nicht einmal aber dies (bestes Beispiel ist LSD, dessen Entdecker Albert Hoffmann sich entschlossen hat, exakt am 11.1.2006, in den Tagen der  Netzaufschaltung unserer Homepage (sic!!!), seinen 100. Geburtstag zu feiern; wir gratulieren ihm und bedanken uns; www.hofmann.org). Aus der ersten Tatsache folgt,  dass notabene die therapeutische Wirkung einiger der wichtigsten in der Medizin bis heute eingesetzten Substanzen buchstäblich zufällig und unbeabsichtigt entdeckt wurden. Fest steht aber, dass die klinische Erprobung von Va 10820 1942 begann und  es folgerichtig dann auch der Wehrmacht  unter dem Codenamen ‚“Amidon“ zu Versuchszwecken zur Verfügung gestellt wurde. Allerdings ist gesichert, dass Va 10820 im 2. Weltkrieg in keiner  Weise bei der Wehrmacht zum Einsatz kam. Zwar wird immer wieder mal reisserisch postuliert, dass eine Dosis Va 10820 im Notfallbeutel jedes deutschen Soldaten zu finden war und eh alle Soldaten ständig high waren. Diese Behauptung ist jedoch schlicht falsch. Es dürfte eher das traurige Gegenteil der Fall gewesen sein. Namentlich im Endkampf dürfte die Deutsche Armee wie natürlich die ganze Bevölkerung mit Medikamenten etwelcher Art krass und schmerzlich unterversorgt gewesen sein. – Erst  1947, also nach Kriegsende,  bekam „Amidon“ nach gründliche Untersuchungen von US-Stellen die Freilassungsbezeichnung „Methadon“. Noch im selben Jahr warf es die Pharmafirma Eli-Lilly unter dem Namen „Dolophine“ auf den Markt (ein treffender Name für ein Schmerzmittel, wissen doch all die Altphilologen unter euch, dass „dolor“ das altlateinische Wort für „Schmerz“ ist, während „finis“ für „Ende“ steht ). In der Folge wurde das Methadon-Molekül – manchmal leicht verändert – in der Schmerztherapie (Krebserkrankungen etc) breit angewendet und vermarktet.

Es hält sich aber hartnäckig und zwar auch in der so genannt seriösen Literatur die Behauptung, dass im Deutschland des Zweiten Weltkrieges Methadon einer breiten Schicht bekannt war und gar volkstümlich den Spitznamen „Adolfin“ trug (Anm: eine Anlehnung an  „Adolf“ Hitler; die Endung -fin“ ist aus erwähnten Gründen  bei der Namensgebung von Schmerzmitteln sehr gebräuchlich, also z.B. „Dolo-fin“; daraus wird dann englisch „-phine“, also  „Dolo-phine“). Die Mär mit dem „Adolphine“ (man beachte die englische Schreibweise, sic!) taucht – so jedenfalls zeigen die Recherchen – erstmals ca. 1970 in US-Quellen auf und schwappte dann eingedeutscht auch zu uns rüber und wurde und wird unkritisch übernommen. Man könnte jetzt die Sache abtun und postulieren, es hätte sich halt ein Schreiber geirrt oder sich mal einen (allerdings derben) Scherz erlaubt.

Aber wenn man sich den geschichtlichen Zeitpunkt der „Adolphine“-Geburt betrachtet, scheint es wenig wahrscheinlich, dass es sich bei der Namensgebung nicht um mehr als einen Scherz auf Kosten anderer oder einen Irrtum handelte. Es dürfte sich dabei vielmehr um gezielte Propaganda erzkonservativer Kreise handeln, die der damals in der USA anlaufenden Methadonsubstitution den Wind aus den Segel nehmen wollte. Das ist  ihnen durch diese Diskreditierung  teilweise gelungen. Die Geburt von „Adolfin“ würde sich damit als eines von vielen Puzzles im Drogenkrieg entlarven, im von den USA  finanziell und ideologisch gefütterten „War On Drugs“. – Anm.: Müssig zu erwähnen, dass der therapeutische Wert  einer Substanz weder steigt noch fällt, wenn sie mit Adolf Hitler, Keith Richards, George Bush oder Kate Moss in Verbindung gebracht wird. Man sollte von Verklärungen wie von wirklichkeitsfremden Verteufelungen Abstand nehmen und zu einer eigenen Sicht all der Tausenden Substanzen kommen, die von Menschen ge- und missbraucht werden. Auf dieser Homepage bemühen wir uns um diesen differenzierenden Ansatz.

DIE GESCHICHTE DER SUBSTITUTION AM BEISPIEL VON METHADON

Bei uns in der Schweiz dauert es halt manchmal, bis Selbstverständlichkeiten aus dem Ausland auch hier greifen. Diese oft beklagte Tatsache trifft auf die Substitutionstherapie mit Methadon sicherlich zu. Umgekehrt müssen wir fairer weise anmerken, dass wir dafür mit der 1994 erstmals bei uns praktizierten kontrollierten Heroinabgabe, die – dies für allfällige unkundige Surfer aus fernen Ländern – aber auch gar nichts mit einer Legalisierung zu tun hat  – Pionierarbeit leisteten und unseren diesbezüglichen Ziehvätern (z.B. den USA) auf der Ueberholspur enteilten. Dass dies im Ausland z.T. mit viel Misstrauen konstatiert wurde und gar die zuständigen Organe der UNO sich mit Besorgnis dazu äusserten, sei nur am Rande erwähnt.

Unsere Geschichte beginnt im Jahr 1963, als die Beatles in Europa für erste Furore sorgten, Elvis allgemein immer noch als „The King“ galt und sich in einigen Metropolen dieser Welt im so genannten „Underground“ die ersten, auch breitere Gesellschaftsschichten umfassenden Drogenszenen der 2. Hälfte des 20. JH etablierten. Diese Süchtigen wurden in den betroffenen Staaten zunehmend als gesellschaftspolitisch bedrohlich empfunden. Namentlich in den schwarzen Slums der US-Grosstädte der Ostküste wurde „King Heroin“ (James Brown in einem Song) und die in dessen Sog driftenden sozialen Probleme  zu einem ernstzunehmenden Faktor. Kam dazu, dass der in mexikanischen Labs hergestellte braune Stoff  zusehends die Rassenschranken zu überwinden begann. Erinnert sei hier an das epochale Meisterwerk von William Burroughs „Junkie“ (1953), dessen „Bekenntnisse eines unbekehrten Rauschgiftsüchtigen“ (so der signifikante Untertitel in der deutschen Uebersetzung) nicht nur die Literaturszene aufwirbelte. – Angesichts dieser Ausgangslage und der Tatsache, dass die Resultate, die mit psychotherapeutischen Begleitungen und (zwangsverordneten) Entzugskuren erzielt wurden, gelinde gesagt ernüchternd waren, inszenierten der Pharmakologe Vincent Dole und die Psychiaterin Mary Nyswander an der New Yorker Rockefeller Universität das erste Methadonprogramm in der uns bekannten Form. Sie hatten sich auch mit Abgabe von anderen Substanzen versucht, aber blieben schlussendlich beim Methadon stehen, da sich die Substanz für ihre Ziele der angestrebten Reintegration wegen seiner langen Wirkungsdauer und der damit verbundenen Tatsache, dass eine einmalige tägliche Abgabe einer Erhaltungsdosis für die meisten Patienten zu genügen schien, am besten eignete. Eine Heroinabgabe stand damals in keiner Art und Weise zur Debatte. Die mit der Methadonsubstitution erzielten Erfolge, die auf z.B. auf eine Senkung von Delikten wie Beschaffungskriminalität und der gesellschaftlichen Stabilisierung der „addicts“ hinzielten, überzeugten in den folgenden Jahren allmählich selbst Skeptiker. Erinnert sei hier, dass die damaligen  Kriminalitätsraten in den amerikanischen Grossagglomerationen um ein vielfaches derjenigen europäischer Metropolen wie Berlin oder London lagen, bei – vor allem auch im heutigen Vergleich – astronomisch anmutenden Werten. Allerdings ist es selbstverständlich Quatsch und eine gefährliche Simplifizierung, wenn man hinter hohen Verbrechensraten fast schon zwanghaft Drogensucht als ursächlichen Motor sieht.

So kam es, dass schliesslich 1970, just im vermuteten Geburtsjahr der „Adolfin“-Sage (Zufall?!?), die Methadonsubstitution in den USA als eine für eine breitere Gesellschaftsschicht geeignete Form der Drogentherapie anerkannt und in der Folge dermassen institutionalisiert wurde, dass sie heute nicht mehr wegzudenken ist. Dies, obwohl später andere Substanzen in den USA Heroin an Bedeutung übertroffen haben: In den 90ern waren dies Crack  und PCP, und aktuell ist Methamphetamin („Meth“), das billig in Küchenlabs aus Hustentabletten (Pseudoephedrine) hergestellt wird, der grosse Renner.

Das erste Methadonprogramm Europas datiert aus dem Jahre 1966 (Uppsala, Schweden). Allerdings waren den Skandinaviern und allen anderen Nationen die Engländer immer einen Schritt voraus: Dort hatte die Regierung bereits 1924 (!!!) eine Expertise des Rollestone-Komittes übernommen, die es jedem Arzt freistellte, nach gewissenhafter Abklärungen Abhängigen zur Substitution Morphin oder gar Heroin zu verschreiben (übrigens wurde selbst Kokain von dieser liberalen Verschreibungsoption nicht explizit ausgenommen). In der Schweiz wurde mit der Revision des Betäubungsmittelgesetztes von 1975 die Grundlage für die Methadonsubstitution geschaffen. Leider und wenig überraschend wurden in den ersten Jahren nach deren Einführung sehr strenge, oft absurde Bedingungen  (Vorweisen mehrerer gescheiterte Entzugsversuche etc) an die Abgabe der flüssigen Tranksame geknüpft, die sich aber nach und nach aufweichten. Dafür verantwortlich war nicht zuletzt die Aidswelle, die in ihren Anfängen neben der Schwulen- vor allem in der fixenden Drogenszene  ihren traurigen Tribut forderte. Man muss dabei nicht ausser Acht lassen, dass in den meisten Ländern es damals nicht nur keine Spritzenabgabe gab, sondern teilweise die Polizei in ihrem Uebereifer zur „Verhinderung des Drogenkonsums“ (sic)  gar Spritzen beschlagnahmte!  Aktuell darf für die Schweiz postuliert werden, dass jeder Junkie, der es einigermassen seriös meint, ohne viel wenn und aber und ohne mehrmonatige Vorabklärungen, wie sie noch in den Siebzigern zwingend waren, zu seiner für ihn richtigen Dosis Methadon kommen kann. Wie Beispiele aus dem Ausland zeigen, ist diese Tatsache alles andere als eine Selbstverständlichkeit. So sind Methadonprogramme in allen Ländern des indischen Subkontinents, wo immerhin rund 25 Prozent der Weltbevölkerung leben und wo unter den Fixern eine erschreckende hohe Aids-Rate grassiert, absolut unbekannt. Notabene wird Methadon in diesen Ländern gar weder hergestellt noch wird es von ausländischen Pharmafirmen importiert oder vertrieben!   Allerdings sind dafür sicherlich nicht nur die zögerlichen staatlichen Mühlen verantwortlich, sondern auch die Tatsache, dass es in diesen Ländern immer genug Stoff gibt und gab und deshalb ein gewisser Druck von den Betroffenen selbst fehlt, und zudem verständlicherweise gesundheitspolitisch angesichts der ganzen Drittwelt-Armutsproblematik die Substitution Abhängiger nicht an führender Stelle der Traktandenliste stehen kann. Die Substitutionspolitik eines Landes ist aber dennoch immer wieder auch Ausdruck des Stands der Liberalität und Toleranz einer Gesellschaft.

BLITZENTZUG à GOGO…:

Allen Opiumabkömmlingen ist eigen, dass der regelmässige Konsum zu mehr oder weniger ausgeprägten Abhängigkeiten führen kann. So sprechen viele Konsumenten von „Entzug“, wenn ihnen der Stoff ausgeht, und sie klagen über eine Vielzahl von Symptomen: Tränen- und Nasenfluss, Niesen, Schwitzen, Frieren, Erbrechen, Durchfall, Schlaflosigkeit  und gar Spasmen werden am häufigsten genannt. Allerdings mögen diese Beschwerden unangenehm sein, sie sind aber nicht akut lebendbedrohlich und klingen nach wenigen Tagen selbsttätig wieder ab. Eigentlich klingt das nicht sehr drastisch. Aber immerhin empfinden viele Abhängige diese Symptome dennoch als dermassen belastend, dass eine markanter Prozentsatz  der Patienten, die sich zu einem kalten Entzug entschlossen haben, bereits nach 3 oder 4 Tagen wieder zum Stoff ihrer Wahl zurückkehrt. Die Statistik spricht dann nüchtern von „Rückfall“.  

Verständlicherweise hat die Medizin immer wieder versucht, dem Entzug durch medikamentöse Unterstützung seinen „Schrecken“ zu nehmen. Zum Einsatz kamen (und kommen teilweise immer noch) z.B.  Barbiturate, Chloral, Tranquilizer (Benzodiazepine, Zolpidem  etc) oder auch Antihistamine. Zudem wird der Entzug oft mit der Gabe von stimmungsaufhellenden Antidepressiva begleitet. All die genannten Medikamente mögen eine gewisse Linderung bringen – aber mehr wohl nicht. Viel Wind verursachte in den Achtzigern die von Dr Meg Patterson  erfolgreich bei Rockmusikern wie Keith Richards, Pete Townshend und Eric Clapton Entzugsmethode der „Black Box“. Mit einem kleinen, hinter das Ohr geklemmten Ding (eben die „Black Box“) soll das Hirn durch einen elektrischen Impuls in den Tagen der akuten Entzugsphase zur vermehrten Ausschüttung körpereigener „Morphine“, so genannter Endorphine, stimuliert werden.  Dies soll einen beschwerdefreien, so genannt „sanften Entzug“ ermöglichen (seine Erfahrungen mit dieser Entzugsmethode schildert der Kopf von The Who auf .

  In der Schweiz wird die Entzugstherapie mittels Elektrostimulation von den Fachleuten mehrheitlich  argwöhnisch beäugt, gar belächelt  und gerne in den Randbereich der wenig geliebten Esoterik gescholten. Kommt dazu, dass tatsächlich der fast schon missionarische Eifer der Verfechter dieser Methode unangenehm aufstossen kann. Wir massen uns nicht die Kompetenz an, darüber zu urteilen. Ambros Uchtenhagen, der Präsident der „Stiftung für Suchtforschung“, meinte im Zürcher Tages-Anzeiger vom 8.1.2004 diplomatisch:“Will man die Methode der Elektrostimulation wirklich propagieren, ist eine unabhängige Evaluation unerlässlich. Der gleiche Artikel zeigt übrigens auf, dass rein theoretisch die Elektrostimulation, die einen Entzug innert Wochenfrist verheisst, eine sehr kostengünstige Entzugsbehandlung wäre… („Theoretisch ist praktisch alles möglich… – oder so ähnlich!“- Das Korrektorat)

 Nicht mehr im gleissenden Schweinwerferlicht  der Medien steht der Entzug unter Narkose, der Mitte der Neunziger kurzzeitig – entgegen aller von medizinischer Seite her vorgebrachten Aufrufe zur Sachlichkeit – mit Attributen wie „Blitzentzug“  zum Nonplusultra hochstilisiert wurde. Dass immer wieder Menschen radikal und am liebsten im Zeitraum von Stunden  Unannehmlichkeiten abstreifen wollen, entspricht dem Zeitgeist. Dass halt aber Entzugsverfahren immer wieder mal dieser unfairen Erwartungshaltung nicht gerecht werden können, liegt wiederum in der Natur der Sache… –

Neben all den erwähnten Entzugsbehandlungen ist immer wieder mal von neuen Ansätzen zu hören, und das ist gut so („Rimonabant“, „Iofexidine“ etc). Allerdings wird es problematisch, wenn von „wundersamen Heilungen“ etc zu lesen ist. Eine gewisse Grundskepsis vor Therapieantritt kann  nie schaden.  – Aber wir möchten hier doch noch kurz auf die  Ibogain -Therapie eingehen, obwohl sie exemplarisch die eben geäusserten Bedenken zu erfüllen scheint. Ibogain ist eine potentes Halluzinogen, dem der afrikanische Strauch Tabernathe iboga den Namen gab. Das verblüffende an der Substanz ist, dass sie – so zumindest einige Forscher – in der Entzugsbehandlung aller Drogen, von Alkohol über Nikotin bis zu Heroin wirkungsvoll eingesetzt werden kann. Natürlich scheint das auf den ersten Blick kaum glaubwürdig zu sein. Denn wer würde schon erwarten, dass ausgerechnet eine Rausch erzeugende Droge (Konsumenten sprechen von intensiven, halluzinogene Erfahrungen) Entzugsbeschwerden gleichsam wegzaubern kann… – Bereits wird illegalerweise – Ibogain untersteht in der Schweiz und einigen anderen Ländern dem Betäubungsmittelgesetz – auf dem Web mit der Substanz gehandelt. Meist stammen die Lieferungen aus Holland, wo trotz vieler bürokratischer Hindernisse aktiv an und mit der Substanz geforscht wird.   Ob die Ibogaintherapie je eine Option für Entzugswillige sein wird, werden die nächsten Jahre weisen. Wenig hilfreich dabei ist die Tatsache, dass es in der Vergangenheit zu mindestens 5 Todesfällen nach Ibogainkonsum gekommen ist. – Texte und vieles mehr auf www.ibogaine.org oder  www.cures-not-wars.org.

..ODER EIN LANGSAMER ENTZUG MIT HILFE VON METHADON (ODER BUPRENORPHIN):

Mit der Ansicht, dass Methadon sich nicht nur zur Substitution, sondern auch zum Entzug eignet, stehen wir nicht alleine da. Anmerken muss man aber korrekterweise, dass so ziemlich jedes Opiat/Opioid  zu diesem Zweck eingesetzt werden könnte (deutsche Arzte substituierten jahrelang mit Codein). Aber auch hier drängt sich sich Methi wegen seines Wirkungsprofils in den Köpfen der meisten Mediziner als Mittel der ersten Wahl auf. Aber wir denken, dass man bei der Wahl des Entzugs- wie Substitutionsmedikamentes die breite Palette an Opiaten und Opioiden bis hin zu Opium (evtl. in der Form des mittlerweile in der Schweiz nicht mehr vertriebenen „Pantopon“) innovativer ausschöpfen sollte…. – Ein sanfter Entzug mit (und natürlich auch von) Methadon gehorcht einem simplen Strickmuster. Man reduziert eine für sich selber festgesetzte Substitutionsdosis, die meist zwischen 20mg/Tag und 250 mg/Tag liegen dürfte sukzessive in wöchentlichen oder gar täglichen Schritten von üblicherweise bis zu 10 % der ursprünglichen Menge. Mit fortschreitender Dauer dieser Art von Entzug, der kaum spürbar sei soll, werden diese Schritte immer kleiner, einige Patienten bleiben gar auch mal  für einige Woche bei einem Zwischenschritt stehen. Irgendwann ist dann die imaginäre Null in Sichtweite. Fast alle Betroffenen schildern den letzten Schritt, von z.B. 2 mg auf Null, als den mit Abstand schwierigsten. Der Entzug mit Buprenorphin funktioniert ähnlich.

Für all diejenigen Heroinkonsumenten, für die aus welchen Gründen auch immer ein Entzug keine Perspektive ist, ist gegenwärtig Methadon das zentrale Substitutionsmedikament. In der Fachliteratur werden als Argumente für Methadon positiv gewertet, dass diese Substanz  mit einer rund 24stündigen Wirkungsdauer (Heroin: rund 8 Stunden) anderen Opioiden überlegen ist und dem Konsumenten, der damit seine Ration nur einmal täglich schlucken oder trinken muss, den Alltag und die Reintegration in einen Erwerbsprozess massiv erleichtert. Fast wichtiger als die medizinischen dürfte aber für die meisten Heroinkonsumenten  finanzielle und legale Aspekte sein, in eine Methadonprogramm abzuwandern. Ebenfalls herausgestrichen wird von der Fachliteratur (Drogenkonsumenten sehen darin oft eher einen Minuspunkt), dass Methadon, wenn es in der jeweiligen Erhaltungsdosis konsumiert wird, keine euphorisierenden Eigenschaften hat und gar teilweise die Wirkung von gleichzeitig konsumierten Heroin aufhebt. Genau wegen letzteren Eigenschaften spielt Methadon im Strassenhandel eine untergeordnete Rolle. Heroinfixer, die in keinem Programm stehen, decken sich  auf der Szene höchstens mit Methadon ein, wenn das eigentliche Ziel ihrer Lust, nämlich das Heroin, zu teuer, zu schlecht oder nicht vorhanden ist. Das auf dem Schwarzmarkt gehandelte Methadon dürfte ausnahmslos von Personen stammen, die in einem regulären Methadonprogramm stehen und ihre Ration zu verkaufen suchen, um sich ihrerseits mit dem von ihnen mehr geschätzten Heroin einzudecken. Die „Schweizerische Betäubungsmittelstatistik“ weist für 2004 angesichts Tausender in einem Methadonprogramm stehenden Personen als Jahrestotal nur 221 Aufgriffe aus, bei denen insgesamt 10517 „Methadon Stück“ resultierten. Wenn man das hochrechnet entspricht das 52585 mg Methadon. Ob das viel ist? Nein, denn bereits ein einziger, hoch  substituierter Methadonbezüger konsumiert pro Jahr diese Menge!

 Allerdings werden die Gegner einer liberalen Drogenpolitik argumentieren, dass diese  Zahl lediglich nur Beweis sei, dass die Polizei den Strassenhandel mit Methadon zu wenig konsequent verfolge. Wir sehen einmal mehr, dass sich mit absoluten Zahlen und Statistiken  jede These untermauern, „beweisen“ lässt – egal wie hirnverbrannt diese auch sein mag…

Das tönt ja alles relativ toll, hätte das Methadon nicht doch noch einen neckischen Haken: Im Gegensatz zu anderen  mehr oder weniger direkt mit dem Saft des Mohns in Verbindung zu bringenden Substanzen kann Methadon bereits in mittel- therapeutischen Dosen (Richtwert ab 70 mg) für höchst quälende Schweissausbrüche sorgen, denen auch mit einer begleitenden Akineton- oder Adalat-Einnahme schwer beizukommen ist.  Da bleibt dann nichts wie eine Dosisreduktion… –  Unserer Ansicht nach wird in der medizinischen Literatur dieser unangenehmen  Nebenwirkung, nicht die nötige Beachtung geschenkt. Es ist zu postulieren, dass man bereit sein sollte, Personen, die aus diesem Grund in einer Methadontherapie zwingend scheitern müssen, mit  verwandten Präparaten zu substituieren (z.B. mit einem retardierten Morphin wie MST Continus oder natürlich mit Buprenorphin, siehe folgend).

 Vermehrt wird bei uns wie auch in einigen EU-Ländern Buprenorphin (Subutex, Temgesic) in der Substitutionsbehandlung verwendet (sublingual). Wollte man es einem der ursprünglichen Opium-Alkaloide zuordnen, müsste Thebain genannt werden, das therapeutisch kaum Anwendung findet, aber ebenfalls dem BetMG untersteht. Buprenorphin wird denn auch aus einer speziellen, vor allem auf Neu Guinea angepflanzten Mohnsorte gewonnen, die kaum Morphin und Codein, dafür  um so mehr Thebain produziert.  – Fast alle Quellen (www.de.wikipedia.de,  www.seidenberg.ch etc) halten Buprenorphin für eine Substitutions- bzw Entzugstherapie nur bei Konsumenten angebracht, die keine langwierige, hoch dosierte Heroinsuchtgeschichte  vorzuweisen haben. Somit überrascht kaum, dass die Fachliteratur generell das Suchtpotential dieser Substanz als niedriger als das von Heroin oder Methadon einstuft. – Anzumerken ist, dass  2003 in den USA Versuche mit Injektionen eines „Depot“-Buprenorphine angelaufen sind (wobei aber nicht Substitutionziele im Vordergrund stehen).

Keine Regel ohne Ausnahme – eine Binsenwahrheit die (natürlich) vor allem auch für Medikamente – Drogen gilt, greifen die doch in höchst komplexe Stoffwechselvorgänge ein. Es gibt nämlich tatsächlich einen kleinen Prozentsatz von Personen, die das Methadon ungewöhnlich schnell metabolisieren und die damit zu einer mehrmaligen täglichen Einnahme der Substanz gezwungen sind. Dieses Phänomen kann durch Blutentnahme und Bestimmen des Methadonspiegel leicht bestimmt und als Kurve verständlich dargestellt werden. Auch beschleunigen einige Medikamente (z.B. aus der Klasse der  Barbiturate) den Abbau des Methadons, während die bei Methadontherapien oft begleit verschriebenen Antidepressiva (sowohl die alten Tri- wie Tetrazyclischen wie auch die derzeit mit Recht überaus gebräuchlichen Serotonin Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI wie Fluctin bzw Prozac, Zoloft, Remeron etc) den Abbau hemmen und so die Wirkung  verstärken. Allerdings möchten wir festhalten, dass wir noch nie ein Mitglied in der Gruppe hatten, die von solchen Erfahrungen zu erzählen wusste. Wer sich aber zu diesem Thema dennoch genauer informieren will, dem sei ein Besuch auf  www.seidenberg.ch angeraten.

Wie bereits erwähnt ist es derzeit in der Schweiz für Heroinabhängige ohne grössere Schwierigkeiten möglich, an einer staatliche Abgabestelle oder nach Verschreibung durch einen Arzt in einer Apotheke sein Methadon zu beziehen (die Behandlung ist notabene kassenpflichtig). Wir verzichten darauf, die genauen Richtlinien aufzulisten, da sie lokal oft verschieden ausgelegt werden und nicht wirklich bindend sind. Somit präsentiert sich in der Schweiz die Methadonabgabe in allen Schattierungen: teilweise wird zwingend eine begleitende Gesprächstherapie daran geknüpft, oft müssen in gewissen Intervallen UPs (Urinproben) abgegeben werden, um Aufschluss über allfälligen Beikonsum zu erhalten, und meist muss die Dosis täglich abgeholt und unter Aufsicht vor Ort getrunken werden (Methi-Mitnahme nur an den Wochenenden). Wiederum gibt es aber auch Bezüger, die in keiner Psychotherapie stehen und denen ihr Methadon für eine oder gar mehrer Wochen mitgegeben wird.  Damit letztere Modalitäten spielen können, muss aber das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stimmen. Für einen Patienten, der seine Substitution gewissenhaft betreibt, hat der eben erwähnte liberale Modus vielen Vorteile. Da wäre einmal der Kostenfaktor (der Besuch bei der abgebenden Stelle wird auf ein Minimum reduziert; in Anbetracht der ins uferlose steigenden Kosten im Gesundheitswesen ein nicht zu vernachlässigendes Argument),  zweitens hat der Bezüger die Möglichkeit, auch mal mit  seiner Dosis zu variieren. Wenn er z.B. von den klassischen  Schweissausbrüchen gequält wird, kann er die Dosis halt mal runterfahren, gar mal eine Tagesdosis weglassen und dann  erspüren, ob auch eine geringere Dosis oder ein anderer Einnahmemodus für ihn besser wären. Erfahrungsgemäss kommen in Institutionen, wo die Abgabe täglich streng reglementiert gehandhabt wird, solche „Extrawünsche“ schlecht an…

nach oben